Klinikum Fichtelgebirge Bandscheibenvorfall ohne OP?

Professor Dr. Achim Benditz untersucht einen Patienten in seiner Sprechstunde. Foto: pr.

Volkskrankheit Rückenbeschwerden: Doch wie lassen sich Operationen vermeiden? Im Fichtelgebirge setzt man auf ambulant-stationäre Behandlungen.

 
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Wie lassen sich Operationen nach Bandscheibenvorfällen vermeiden? Dieser Frage geht das Klinikum Fichtelgebirge in Marktredwitz und Selb nach. Mit einem innovativen Ansatz will das Klinikum zeigen , dass eng abgestimmte ambulant-stationäre Behandlungen eine Operation bei einem Bandscheibenvorfall in den meisten Fällen vermeiden. Das soll im ländlichen und städtischem Raum funktionieren. Dafür ist das Klinikum Fichtelgebirge in den Genuss einer millionenschweren Förderung gekommen. Wie es in einer Mitteilung des Klinikums heißt, kann der neue Behandlungspfad in ganz Deutschland etabliert werden, wenn er sich der üblichen Versorgung als überlegen, erweist.

320 000 OPs im Jahr

In Deutschland werden pro Jahr mehr als 320 000 Operationen am unteren Rücken durchgeführt. Bezogen auf die Einwohnerzahl ist Deutschland damit im Spitzenfeld der Rückenoperationen.

Professor Achim Benditz, Leiter der Wirbelsäulenabteilung am Klinikum Fichtelgebirge, und Professor Joachim Grifka, Direktor der Orthopädischen Klinik für die Universität Regensburg in Bad Abbach, verfügen über umfangreiche Erfahrung in der wirkungsvollen konservativen Behandlung. Beide reichten das Projekt beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) ein und schlugen ein gezieltes Behandlungskonzept vor. Unterstützt wird das Vorhaben von der AOK Bayern, das zudem eine Förderung in Höhe von 3,48 Millionen Euro vom Innovationsfonds des GBA erhalten hat. Die Studie, zielt darauf ab, den Nachweis zu erbringen, dass Bandscheibenvorfälle in der Lendenwirbelsäule meist erfolgreich konservativ behandelt werden können, also ein operativer Eingriff vermieden werden kann. „Rückenbeschwerden sind eine Volkskrankheit! Das Ziel unserer Studie ist der Nachweis, dass auch bei Bandscheibenvorfällen in der Lendenwirbelsäule, mit ausgeprägten Schmerzen ins Bein, in den meisten Fällen erfolgreich konservativ behandelt und somit eine Operation vermieden werden kann“, erklärt Benditz.

Volkswirtschaftlich relevant

Der GBA schreibt dazu: „Das Ziel des Projekts RELIEF ist es, Menschen mit spezifischen Rückenschmerzen bestmöglich zu behandeln und Ausfallzeiten zu verringern. Sie betreffen häufig Patientinnen und Patienten, die im Arbeitsalltag stehen und spielen daher nicht nur medizinisch, sondern auch volkswirtschaftlich eine große Rolle.“

Um das zu erreichen, will das Projektteam in einer Studie einen neuen Behandlungspfad erproben, der die Zusammenarbeit zwischen hausärztlicher Versorgung, Kliniken für Orthopädie und Praxen für Physiotherapie stärkt.

Dieser Behandlungspfad beginnt im hausärztlichen Bereich, wo die Diagnose Bandscheibenvorfall gestellt wird. Es folgt die stationäre Aufnahme in einer Klinik für Orthopädie, wo die Betroffenen eine Woche lang täglich eine gezielte Therapie erhalten, die unter anderem Injektionstherapie, Bewegungstherapie und Physiotherapie beinhaltet. Unmittelbar danach bekommen die Betroffenen ambulant zwei Wochen lang eine intensive Physiotherapie. „Um dieses konservative Therapieregime systematisch umzusetzen, haben wir gemeinsam mit Ärzten in der Praxis, unter anderem auch Allgemeinmedizinern aus der Region Marktredwitz, sowie den Physiotherapieinstituten Eden Reha in Donaustauf und Stiftland Reha Haas in Mitterteich ein Konzept der eng abgestimmten ambulant-stationären Behandlung entwickelt“ erklärt Prof. Benditz.

Arbeitsfähigkeit im Blick

Um die Wirksamkeit des neuen Behandlungspfads zu überprüfen, unterteilt das Projektteam die an der Studie beteiligten Patientinnen und Patienten in drei Gruppen die unterschiedliche Behandlungen erfahren. Nach zwei und nach sechs Wochen sowie erneut nach sechs Monaten werden die Effekte der jeweiligen Therapie miteinander verglichen, beispielsweise anhand der Schmerzwahrnehmung bei den Betroffenen sowie der Arbeitsfähigkeit.

Ein weiteres herausragendes Merkmal dieses Projekts ist seine Realisierung außerhalb der universitären Forschungslandschaft. Während ähnliche Förderprojekte überwiegend an Universitätskliniken stattfinden, hebt sich das Klinikum Fichtelgebirge durch die erfolgreiche Akquisition eines solch bedeutenden GBA-Projekts als Hauptantragssteller hervor.

Start im Herbst

Dr. Philipp Koehl, Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, freut sich mit Professor Benditz und stellt den außergewöhnlichen Erfolg dar: „Ein GBA-Projekt in dieser Größenordnung als Hauptantragssteller an ein kommunales Haus zu holen ist ein bemerkenswerter Erfolg. Ich sehe dies auch als Erfolg für die neue Struktur unserer Klinik. Neben dem Engagement der Mitarbeiter, der überdurchschnittlichen wissenschaftlichen Aktivität, mit weit über 70 Publikationen allein in den letzten drei Jahren, sind es diese Beiträge die den Erfolg der Klinik langfristig sichern“, so Koehl weiter. Jetzt gehe es darum, in einer groß angelegten wissenschaftlichen Studie die Umsetzung des Konzepts im ländlichen Bereich zu prüfen. „Die Vorbereitungen laufen bereits, Start ist im Herbst 2024“, sagt Philipp Koehl.

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